Auf geht’s! Nach Berlin!
Wenn Hufgeklapper auf Katzenkopfsteinpflaster zu hören ist, wenn Pferdedroschken Automobilen weichen müssen, Fräuleins rauchend mit weißen Häubchen im Hinterhof pausieren, Handkarren an Einbeinigen vorbei geschoben werden, Männer mit horngefassten Brillengläsern und Zylindern auf dem Kopf stolzieren, tja dann, hat man 2017 verlassen und ist mitten in den 1920er gelandet.
Wenn dann noch zusätzlich kleine ausgemergelte Mädchen und Jungs nach Essen betteln, in verruchten Bars behaarte Männerhände aus Damenkleidern hervorlugen, Männer tanzend die Wirkung von Anziehung und Abstoßung ausprobieren, die Luft nach Opium und Morphium riecht, Nasen weiß gepudert von Kokain leuchten, dann sind es die frühen 20er in Berlin.
Willkommen mitten in „Der weiße Affe“ von Kerstin Ehmer. In einer anderen Welt. In einer anderen Zeit. Gefangen in einem Buch, in dem Beschreibungen lebendig werden, sich bewegen, den Leser von der Lesecouch katapultieren und in den Gassen Berlins aussetzen. Berlin, lebt in diesem Buch!
Berlin, ein heißes Pflaster in mannsbehaarter Katzenkopfoptik
Mittendrin in diesen 20er Jahre Berlin stürzt sich Ariel Spiro mit Kaltstart in den neuen Job und ins Nachtleben. Der Provinzkriminalkommissar aus Wittenberge wird sogleich mit einem Mordfall an dem jüdischen Bankier Eduard Fromm konfrontiert. Dass man es in Berlin mit Regeln nicht so genau nimmt, wird auch gleich bei dem ersten Opfer klar: Mit einigen Schweinefleischwürstchen im Magen wird der Tote vor der Wohnungstür seiner Geliebten Fräulein Hilde erschlagen aufgefunden. Seine Brieftasche fehlt natürlich auch.
Oh, du kriminelles Berlin mit deinen dunklen Hinterhöfen verführst den Provinzpolizisten zusehends und mich als Leser von Seite zu Seite gleich mit. Denn Berlin hat von allen viel: Tänzerinnen, verruchte Bars, Künstler, jede Menge Kokain, homosexuelle Treffpunkte. Auf all dies trifft Spiro zum ersten Mal in seinem Leben. Mit einer Wucht lernt er das Großstadtleben kennen, und mit ihm der Leser. Als Leser staune ich wie Ariel über dieses Großstadtleben, naiv und unbedarft wie die Hauptfigur bilden wir ein Team und entdecken diese Stadt und ihre Leute mit großen, neugierigen Augen.
Jetzt ist es vor allem Berlin. Und in Berlin scheint Monogamie ein Fremdwort zu sein. Denn auch das Fräulein Hilde hat eigentlich einen Freund und der wird schnell hauptverdächtigt. Das schnelle Stadtleben hat aber eben eine ungewohnte Schnelligkeit in sich, und so schnell wie Spiro einen Hauptverdächtigen im Visier hat, der ihn in die tiefste Schwärze der Stadt führt und zu Männern, die Kinder kaufen, so schnell macht der Fall eine Wendung.
Denn selbst die Familie Fromm ist nicht so fromm, wie der Name es deutet. Spiro kämpft in einem Sumpf von Verführungen, Andeutungen, Unterstellungen. Der neue ist der neue, scheint durch die verruchtesten Bars zu tingeln und wird von seinen Kollegen beäugt. Nur Bohlke, der Polizist, der den Krieg nie hinter sich gelassen hat, steht an seiner Seite. Muss er auch. Vorschrift ist Vorschrift. Auch wenn er – oh Wunder – das nicht so genau nimmt mit diesen Vorschriften. Ich sagte, ja, in Berlin haben Regeln einen eigenen Sinn. Und das liest sich verdammt verrucht.
Ein königliches Wirrwarr von Verdächtigen
Erst der Freund von Fräulein Hilde, dann die engsten Familienmitglieder des Getöteten, die Zahl der Verdächtigen steigt im Laufe der Geschichte. So langsam verliert Spiro dann auch noch den Vertrauensvorschuss seines Vorgesetzten und droht wieder in die Provinz abgeschoben zu werden. Ein bisschen hat er sich nämlich vom Stadtleben verführen lassen, der Herr Spiro auf Probe.
Dazwischen gibt es kursiv geschriebene Kapitel, die wie unter Wahn oder im Drogenrausch zusammenfantasierte Königinnengeschichten erzählen. Anfangs tappt man als Leser völlig wirr durch diese Kapitel. Doch man ahnt es, diese Kapitel sind wichtig, aber völlig undurchschaubar, diese milchgebende Königin mit dem bösen Mund. Dann wieder klärt der Fantasienebel auf, ein Junge, der eine Schule besucht, taucht auf, und wird von eingebildeten Krokodilen und Dschungel verschluckt. Wirr. Absolut wirrwarr. Was aber irgendwann gelöst und völlig verständlich gewahr wird.
Alleene die Sprache könnt ick knutschen
Und dann diese Sprache! Nie hätte ich gedacht, dass Berliner Dialekt derart gut lesbar ist. Nebenfiguren dürfen nämlich „frei Schnauze“ reden. Und so finden zwischendurch Dialoge in Berliner Dialekt statt, was das Setting noch viel authentischer macht.
Dieses Buch bringt den Leser wirklich zurück in die 20er Jahre nach Berlin. Schillernd, verrucht, überwältigend ist diese Stadt, diese Zeit, dieses Buch auf mich Provinzleserin. Toll!
„Der Jünther is nich jewalttätich, der nich. Wenn Se wissen wolln, wat jewalttätich is, da komm Se Freitach wieder, Freitach, wenn der Eugen Arbeit hatte, wenns Jeld gibt und dann inne Kneipe. Jrün und blau hat er den Jünther geprügelt, als sie ihn zurückjeschickt haben aus der feinen Schule. …“
Zitat aus dem Buch, S. 213
PS: Wer jetzt noch wissen möchte, was hinter dem ominösen Titel „Der weiße Affe“ steckt, googelt mal nach „Judenporzellan“ oder „Mendelsons Affe“. Wer es genau wissen will, liest das Buch.
Fazit
Kerstin Ehmer ist eine Geschichte gelungen, die den Leser in eine andere Welt, eine andere Zeit entführt. Geräuschvoll und anschaulich zeigt sie ein schillerndes, verruchtes Berlin, lässt – wie den Leser auch – einen unvorbereiteten Ermittler in dieses Stadtleben tauchen und sorgt mit allerhand Verdächtiger und fantasievollen, wahnhaftigen Zwischenkapitel dafür, dass die Verdächtigen möglichst lange Verdächtige bleiben.
Der Berliner Dialekt, der zwischendurch gesprochen wird, sorgt für noch mehr Authentizität. Dieses Buch schafft vor allem eines: Als Leser vergisst man, dass man auf der Lesecouch liegt und ein Buch liest, als Leser betritt man von der ersten Seite an die schillernden Bars, die frühe sexuelle Freizügigkeit eines verruchten Berlins. Und bekommt obenauf einen hartnäckigen Kriminalfall zu lösen. Das ist gekonnt, das ist empfehlenswert für Leser mit Anspruch.
„Der weiße Affe“ ick könnt dir knutschen!
Bewertung: 5 von 5 Lesebrillen!

Bibliografische Angaben:
DER WEISSE AFFE | KERSTIN EHMER
Erschienen am 30.08.2017 im Pendragon Verlag ⇔
Aus dem Deutschen
Reiheninfo: Band 1 aus der Kommissar Ariel Spiro – Reihe
ISBN: 978-3-86532-584-6
264 Seiten
Weitere Rezension(en):
KeJas Blogbuch: Begeisterte Rezension von Kerstin ⇔

Blogtour- Buchverlosung!
Im Rahmen der Blogtour verlost der Pendragon Verlag drei Mal ein Exemplar von Kerstin Ehmers „Der weiße Affe“. Um an der Verlosung teilzunehmen, müssen die TeilnehmerInnen ein Lösungswort bilden. Das Lösungswort findet sich in den fünf Blogbeiträgen zu der Tour. In jedem Beitrag findet sich ein fett gedruckter Buchstabe – das Lösungswort besteht also aus fünf Buchstaben.
Zur Teilnahme an der Verlosung muss das Lösungswort an presse@pendragon.de gesendet werden. Einsendeschluss ist Freitag, der 27. Oktober 2017 um 23:59 Uhr.
Die drei Gewinner werden aus allen Teilnehmern ausgelost. Nach der Auslosung werden die Gewinner per Mail benachrichtigt und um ihre Adressdaten gebeten. Die Adressdaten der Gewinner werden nur für den Versand benötigt und werden nicht an Dritte weitergegeben. Eine Barauszahlung des Gewinns ist nicht möglich. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Mit der Teilnahme am Gewinnspiel erklärt Ihr euch mit diesen Bedingungen einverstanden.
Alle Blogtour-Beiträge:
- Montag, 16.10.: „Die Leserin“ – Rezension zu „Der weiße Affe“
- Dienstag, 17.10.: „Wortgestalt-Buchblog“ – Beitrag: „Spurensuche – Ein Spaziergang durch Berlin“ ⇔
- Mittwoch, 18.10.: „Die dunklen Felle“ – Beitrag: Die Geschichte von Alexander – Verwahrlosung und Überliebe ⇔
- Donnerstag, 19.10.: „Life4books“ – Beitrag: Die 20er Jahre – das Zeitalter der sexuellen Befreiung und der schillernden Bars ⇔
- Freitag, 20.10.: „Kejas Blogbuch“ – Beitrag: Kommissar Spiro schreibt nach Hause… ⇔
Kleiner Tipp: Viel Glück bei der Buchstabensuche und natürlich bei der Verlosung! Kleiner Tipp: Der Buchstabe, den ihr hier in diesem Beitrag suchen müsst, kommt wirklich groß und fett vor und ist auf dem ersten Blick zu erkennen :-). Ganz viel Glück und viel Spaß beim „Touring“ durch die Blogs!
Dieser Blogtour-Beitrag steht in Kooperation mit den Pendragon Verlag ⇔. Einen Verlag, den ich euch wärmstens empfehlen kann, wenn ihr außergewöhnliche Krimis sucht.
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Hallo liebe Iris
das ist so ein schöner Beitrag und ich hab mich direkt ins Buch und die Zeit versetzt gefühlt. Auch der eingebundene Dialekt kommt durch das Zitat richtig gut rüber.
Viel Spaß noch bei der Tour 🙂
Liebe Grüße
Kerstin
Hallo Kerstin,
ja das Buch ist wirklich eine wahre Zeitreise. Ich habe mich in dieses Berlin total verliebt und fand die Sprache einfach zum Genießen. Ich hoffe, von Ehmer kommt noch mehr :-).
Dir auch noch viel Spaß bei der Tour! Liebe Grüße dir, Iris
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Liebe Iris,
die 20er Jahre sind nicht unbedingt meins, aber mit deiner Rezension hast du mich nun schon wieder gepackt. Mein SuB schaut mich an, schüttelt den Kopf, oh je. Ich werde diskutieren müssen ;-).
Liebe Grüße und vielen Dank für die feine Rezi.
Anja
Ha, ha, der SuB schüttelt sich. Macht meiner auch immer und freut sich dann doch, wenn es wieder ein paar mehr sind und er ein paar Zentimeter gewachsen ist. 🙂
Die 20er sind normalerweise auch nicht meines, aber hier ist es sehr interessant gemacht und entführt den Leser in eine Zeit, die man so nicht kennt (fühlen kann). Dazu kommt auch noch diese Berliner Eigenart und ein Kommissar, den man gerne begleitet. Deswegen hoffe ich auch, dass noch mehr von Kerstin Ehmer kommt. Ist mal ein Ausflug auf der Lesecouch! Mal etwas gaaanz anderes.
Viele liebe Grüße dir! Und deinem SuB!
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Ich habemich ja schon tierisch gefreut, dass der Roman bei dir dann auch auf Liebe gestoßen ist! 🙂 Deiner Besprechung merkt man die Begeisterung auf wirklich an, und solltest du es wirklich mal nach Berlin schaffen, gehen wir gemeinsam zum Denkmal von Hirschfeld und spazieren durch das Bayrische Viertel. 😉
Ha, ha, ich komme auf dein Angebot zurück! Ein Grund mehr, eine Berlinreise ins Visier zu nehmen. 🙂
Ich hab zwar montags Deinen Beitrag fleißig ge- und verteilt, aber ich gestehe auch nur überflogen. Nach jetziger genauer Lektüre muss ich noch einen Kommentar hinterlassen: eine ganz tolle Rezi ist Dir hier gelungen! Und sie spricht mir sowas von aus der Seele – ick könnt Dir knutschen!
😘
Die Zeit, die Zeit. Kenn ich leider auch und merke es, wenn dann oft die Zeit für das Kommentieren fehlt. Vielen Dank für deinen lieben Kommentar!